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We care! – Wider der Diskriminierung

rod-long-f6pnao4kn18-unsplash.jpg__498x285_q85_crop_subsampling-2_upscale.jpegPhoto by Rod Long on Unsplash

We care, weil stark ausgeprägte Machtungleichheiten unsere Gesellschaft prägen. We care, weil diese Machtungleichheiten auf diskriminierenden Mechanismen beruhen. We care, weil Menschen Verletzungen erleiden, auf Grund von Ausschlüssen durch Zuschreibungen. Das WeCare Paket gibt insbesondere aktiven Mitgliedern in Regionalgruppen der Gemeinwohl-Ökonomie einen kurzen und prägnanten Überblick zum Thema Diskriminierung, wertvolle erste Handlungsmöglichkeiten und eine ausgewählte Sammlung von Grundlagentexten.

Was genau ist eigentlich Diskriminierung?

Laut einer formalen Definition meint Diskriminierung die Verwendung einer Unterscheidung von sozialen Gruppen und Personenkategorien zur Herstellung, Begründung und Rechtfertigung von Ungleichbehandlung.Dadurch werden Menschen gesellschaftlich benachteiligt (Vgl. Scherr 2016). Diskriminierung befasst sich mit Fragen von Privilegien, der gesellschaftlichen Positionierung von Menschen und Macht. Diese Begriffe scheinen vorerst schwer greifbar. Daher ist es wichtig, über Diskriminierung zu sprechen und Reflexionsprozesse bei allen Beteiligten anzustoßen. Dies kann beispielsweise bei einem Hörkreis zum Thema Klassismus oder bei einem Privilegiencheck geschehen. Fallen mehrere Diskriminierungsmerkmale übereinander, sprechen wir von Intersektionalität. Beispielsweise sind die Diskriminierungserfahrungen einer weißen lesbischen Frau andere als die eines Schwarzen Mannes, der strukturell behindert wird.

Wie funktioniert Diskriminierung?

Der grundlegende Mechanismus von Diskriminierung nennt sich „Othering“. Das heißt, eine Gruppe wird gesellschaftlich konstruiert, was eine Trennung in ein „Wir“ und die „Anderen“ zur Folge hat. Die „Anderen“ werden als eine Einheit dargestellt. Ihnen werden negative Eigenschaften zugesprochen und sie werden abgewertet. Gleichzeitig wird das Selbstbild der „Wir“-Konstruktion aufgewertet. Dadurch entstehenden Gegensatzpaare. Diese werden auch Dichotomien genannt. Beispiele sind Frau-Mann, emotional-rational und unnormal-normal. „Othering“ konstruiert damit wirkmächtige Bedeutungen und eine Vorstellung davon, was normal ist und was als Abweichung gilt. Dabei schauen wir auf einer strukturellen Ebene und nicht nur auf den Einzelfall (Vgl. Kechaja/Foitzik 2021). Folgen können konkret sichtbar werden. Beispielsweise, wenn einer Gruppe von Menschen der Zugang zum Wohnungsmarkt oder Arbeitsmarkt erschwert wird oder gar verwehrt bleibt. Ein als „fremd“ wahrgenommener Klang des Nachnamens kann bereits ausschlaggebend für Ausschlüsse sein. Die Ausgrenzungen und Abwertungen geschehen aus einer machtvollen Position heraus.

Nicht jede Ausgrenzung einer Person oder Gruppe ist eine Diskriminierung, obwohl es auf den ersten Blick so scheinen könnte. Diskriminierung ist gekennzeichnet durch eine hierarchisierte Ungleichbehandlung, die eine Gruppe regelmäßig, historisch gewachsen über einen langen Zeitraum und „dauerhaft in einer gesamten Gesellschaft erlebt und für die es in der Gesellschaft eine von vielen geteilte Legitimation gibt.“ (Kechaja/Foitzik 2021)

Diskriminierung weist folglich zwei Merkmale auf: zum einen die Konstruktion einer einheitlichen Gruppe durch die Zuschreibung von bestimmten Merkmalen und zum anderen deren Abwertung aus einer Machtposition heraus. Formen von Diskriminierung können sein: Klassismus, Rassismus und Sexismus. Zahlreiche Menschen sind in Deutschland betroffen: Fast 22 Millionen der insgesamt 82 Millionen Menschen in Deutschland weisen einen sogenannten Migrationshintergrund auf. 10,8 Millionen Menschen leben mit einer schweren Behinderung. Es gibt über 400 religiöse Gemeinschaften und 7,4 Prozent der deutschen Bevölkerung bezeichnen sich als LGBT: lesbisch, schwul, bisexuell und/oder transgender. (Statistisches Bundesamt, 2020)

Die Gemeinwohl-Ökonomie und Diskriminierung

Was hat die Gemeinwohl-Ökonomie mit Diskriminierung zu tun? Eine wertebasierte Wirtschaft, die auf die Förderung des Gemeinwohls ausgerichtet ist, nimmt sich den Herausforderungen von Diskriminierung an. Zum einen ist dies wichtig für Unternehmen, die gemeinwohlorientiert handeln wollen, und zum anderen ist dies wichtig innerhalb der Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie.

Zum ersten Punkt: Durch das Wirtschaften formen die Menschen ihre gesellschaftliche Mitwelt. Diese ist nicht naturgegeben, sondern historisch gewachsen und lässt sich verändern.  Die Perspektiven von Menschen, die sich abseits der sozialen Norm befinden, sollten sichtbar werden. Somit können Alternativen adressiert werden, welche die Möglichkeit zu einem Wandel aufzeigen, weg von einer profitorientierten und hin zu einer gemeinwohlorientierten Wirtschaftsweise. Doch wer hat die Zugänge zu den Orten, an denen Veränderung stattfinden kann? War darf sprechen und wer wird gehört? Gemäß der Werte der Gemeinwohl-Ökonomie - Menschenwürde, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und Mitbestimmung - ist es ein Erfordernis, die wirkmächtigen Mechanismen von Diskriminierung mitzudenken, diese aufzudecken und ihnen entgegenzutreten.

Das Thema Menschenwürde wird vor allem im Bereich der Sorge-Arbeit deutlich, beispielsweise bei der Kinderbetreuung oder beim Kochen. Hier überschneiden sich verschiedene Diskriminierungsformen, wobei vor allem Women of Color, die sozial benachteiligt werden, von schlechten Arbeitsbedingungen, mangelhafter Entlohnung und geringfügigen Partizipationsmöglichkeiten betroffen sind. Ungleich verteilte Startbedingungen, Privilegien und Zugänge zu Ressourcen haben Einfluss auf soziale Gerechtigkeit. Solidarität wäre die Handlung, der es bedürfe, um soziale Gerechtigkeit zu erzielen. Eine Auswirkung struktureller Diskriminierung stellt beispielsweise das Phänomen des Umweltrassismus dar: Personen of Color, die von Klassismus betroffen sind, leben häufiger an Orten mit hoher Umweltverschmutzung wie an stark befahrenen Straßen als Personen, die bei diesen Merkmalen privilegiert sind. Die Verschränkung von sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit wird hier deutlich. Die Belastung der Umwelt wird durch die Wirtschaftsweise der Länder des sogenannten „Globalen Nordens“ erzeugt, deren Reichtum auf der Ausbeutung von Ländern des sogenannten „Globalen Südens“ basiert. In den globalen Lieferketten innerhalb der Süd-Nord-Beziehungen lassen sich zahlreiche Formen und Ausprägungen von Diskriminierung vorfinden.

Die Mitbestimmung von Menschen an gesellschaftlichen Prozessen ist ungleich verteilt.

Dies zeigt sich bei den institutionellen Regelungen der Wahlbeteiligung oder ebenso der Mitgestaltung des eigenen Lebensraumes durch politische Prozesse. Menschen, die in der Gesellschaft in einer hohen Machtposition sind, können durch Power Sharing, das Teilen von Macht, ihre Privilegien nutzen und anderen Teilhabe ermöglichen sowie den Zugang zu Informationen erleichtern oder deren Stimmen sichtbar machen. Ökonomische Macht bedeutet politische Macht und damit Macht der Mitgestaltung der eigenen Lebenswelt. Wenige kapitalstarke ökonomische Akteur*innen haben folglich sehr viel Macht und global umfassende Einflussmöglichkeiten. Strukturell betrachtet wird der Zugang zu wesentlichen Entscheidungsplattformen und Netzwerken besonders älteren weißen Männern gewährt.

Zum zweiten Punkt: Die Gemeinwohl-Ökonomie und ihre Mitglieder sind Teil der Gesellschaft und so wie jeder Bereich der Gesellschaft weist auch die GWÖ diskriminierende Strukturen auf, wenn nicht aktiv dagegen gearbeitet wird. In alltäglichen Handlungen, in dem wie die einzelnen Mitglieder der GWÖ miteinander umgehen, in Interaktionen und im Sprechen, drücken sich Verhaltensweisen verinnerlichter Dominanz und verinnerlichter Unterdrückung aus. Prozesse und Machtdynamiken auf Grund der verschiedenen Positionierungen sollten aufgedeckt und bearbeitet werden. Dies setzt die Bereitschaft eigener Infragestellungen von Menschen in strukturell bedingten Machtpositionen voraus, denn alle sind auf spezifische Weise sozialisiert und viele diskriminierende Verhaltensweisen bleiben unbewusst.

Daraus schlussfolgert sich beispielsweise, dass die sozialen Räume in der GWÖ bewusst so gestaltet werden sollten, dass sich in ihnen ebenso Menschen wohl fühlen können, die nicht weiß und akademisch positioniert sind, so wie es die Mehrheit der Bewegung ist.

Antidiskriminierung erfordert die Arbeit und Unterstützung aller, sowohl aus einer privilegierten als auch aus einer deprivilegierten Position heraus. Letztendlich ist es eine Frage der eigenen Haltung und der Frage danach, wie wir als Menschen uns begegnen und miteinander sein wollen. Menschen sind nicht gleich und werden nicht aus gleichen Startpositionen heraus geboren, doch die Möglichkeiten, ein gutes und gelungenes Leben zu führen, sollten für alle gleiche sein. Dies erfordert jedoch die Bereitschaft, die eigene Position zu erkennen, zu hinterfragen und Verantwortung zu übernehmen für ein Wir, das ein gutes Leben für alle ermöglicht. We care.

Eure AG Antidiskriminierung

Glossar:

- Care-Arbeit: Pflegearbeit, auch reproduktive Arbeit, meist unbezahlt, darunter fallen Hausarbeiten oder Kinderbetreuung, die vor allem von Frauen ausgeübt werden

- Globaler Norden und Globaler Süden: Die Begriffe bezeichnen politische Positionen in der globalen Ordnung. Der Globale Süden ist benachteiligt und der Globale Norden profitiert von seiner Position und genießt Privilegien.

- Klassismus: Diskriminierung aufgrund der (vermeintlichen) sozialen Herkunft oder der (vermeintlichen) sozialen Position. Außerdem die Einstellung, Stereotypen und kulturellen Elemente, die diese Diskriminierung begünstigen.

- People of Color: Selbstbezeichnung von Menschen, die rassistisch unterdrückt werden

- Power Sharing: Handlungsstrategie; Menschen mit Macht können ihre Position nutzen, um die Verhältnisse zu verändern und ihre Macht mit unterdrückten Gruppen teilen

- Privilegien: Recht, welches einer einzelnen Person oder Gruppe zugeteilt ist

- Rassismus: Diskriminierung einer als ‚fremd‘ konstruierten Gruppe

- Schwarz: politische Selbstbezeichnung von Menschen, die gemeinsame Erfahrungen aufgrund von Rassismus erfahren haben

- Sexismus: Diskriminierung aufgrund des zugeschriebenen Geschlechts

- strukturelle Ebene: Ebene gesellschaftlicher Ordnung, auf der ökonomische, soziale und politische Prozesse erfasst werden können

- verinnerlichte Dominanz: Verhaltensmuster verinnerlichter Überlegenheit einer dominanten Gruppe wie z. B. Entmündigung oder Schuldzuweisungen an die Benachteiligten

- verinnerlichte Unterdrückung: unterdrückte Gruppe wendet die Mechanismen der unterdrückenden Gruppe auf sich selbst an aufgrund verinnerlichter Vorurteile, Bsp. Hautaufhellung bei Rassismus

 

Literatur:

Maria Kechaja/Andreas Foitzik (2021): Sieben Eckpunkte zu unserem Verständnis von Diskriminierung. In: Diskriminierung und Antidiskriminierung: Beiträge aus Wissenschaft und Praxis, Hg. von Gero Bauer, Maria Kechaja, Sebastian Engelmann und Lean Haug, 59-76. Bielefeld: transcript Verlag.

Albert Scherr (2016): Diskriminierung/Antidiskriminierung – Begriffe und Grundlagen, online: https://www.bpb.de/apuz/221573/diskriminierung-antidiskriminierung-begriffe-und-grundlagen

Statistisches Bundesamt (2020), online: destatis.de