Ulm

Das war die SommerWoche 2021

Hübingen, 23.07.2021
     
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Erfüllt kam ich zurück von der GWÖ Sommerwoche – erfüllt von intensiven Begegnungen, inspirierenden Vorbildern und Tatendrang für konkrete Projekte, die in den ereignisreichen Tagen Form gefasst hatten. Mir war eindrücklich bewusst geworden, wie viel eine Gruppe gleichgesinnter und motivierter Menschen bewirken kann. Es war meine erste Sommerwoche, und ich wusste bis zur Ankunft nicht, worauf ich mich eingelassen hatte. Zwar wurden mir im Vorfeld durchweg positive Erfahrungen geschildert, doch konnte ich diese Erklärungen nicht richtig einordnen und zusammen bringen: freie Zeitgestaltung, sehr vielfältiges Bildungsangebot, tolle Menschen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mich freudig und erwartungsfrei in dieses Abenteuer zu stürzen…

Das Erlebnis begann schon mit der Anreise: Als ich in Koblenz mit dem Fahrrad aus dem Zug stieg, waren die Anzeichen einer Überschwemmung noch deutlich sichtbar. Mein Ziel lag jedoch in östlicher Richtung, weg von den Unwetter-Regionen dieses Sommers. So radelte ich gemütlich die Lahn entlang, an Felsen und kleinen Städtchen vorüber, immer weiter aufs Land, dem Pfad der Entschleunigung folgend. Das letzte Stück ging es steil bergauf, und ich kam nach Hübingen, einem kleinen Dorf, malerisch gelegen zwischen Feldern und Wäldern. Direkt daran angrenzend dann das Ziel meiner Reise: Das Familien-Feriendorf, das uns mit seinen Gemeinschaftsräumen und etwa 40 Reihenhäusern im Stil der 70er Jahre den Rahmen für die nächsten Tage bieten würde. Rückblickend erscheint dieser beschauliche Ort perfekt für das fröhliche und kreative Zusammentreffen dieser motivierten Gruppe; ein großartiger Raum für Austausch, Inspiration und Gemeinschaft.

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Hanno, der GWÖ-affine Leiter der Einrichtung, gestand uns beim Abendessen, dass ihnen der nachhaltige Einkauf noch Schwierigkeiten bereitete: Nachdem ihre Lieferanten nicht die nötige Menge und Vielfalt an biologischen und veganen Produkten bereitstellen konnten, war er selbst mehrmals in den Großhandel gefahren und hatte unter anderem den kompletten Bestand an Biogurken und veganem Käse aufgekauft. Er stellte uns ebenfalls das Kinder-Zirkusprojekt vor, das sie dort für ihre Feriengäste auf die Beine gestellt hatten; auch wir konnten indirekt davon profitieren, denn wir fanden uns nach dem Abendessen im großen Zirkuszelt zur gemeinsamen Runde ein (und nicht ganz unpassend, für die Realitätsakrobatinnen und Transformationsseiltänzer, die wir ja sind).

Wir unternahmen zwei Kennenlern-Spaziergänge in kleinen Gruppen, besprachen das Freizeitangebot für den nächsten Morgen und ließen den Tag dann am Lagerfeuer ausklingen. Es war ein schöner Abend gewesen – ein einfaches Kennenlernen und Einstimmen auf die gemeinsame Zeit ohne vollgepacktes Programm oder Leistungserwartungen.

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Der nächste Morgen war märchenhaft: Leuchtende Nebelschwaden zogen langsam über die wogenden Hügelketten des Westerwaldes, versteckten die kleinen Dörfer mit ihren Kirchtürmen in der Ferne, und gaben sie wieder frei. Mit einigen anderen frühen Vögeln hatten wir uns auf der Wiese zusammen gefunden – zu einem Karate-Anfängerkurs. Die Konzepte waren zunächst sehr ungewohnt, aber unser Fortschritt war überraschend: Am zweiten Morgen kannten wir die Bewegungsabläufe der ersten Kata und waren in der Lage, sie synchron auszuführen. Und obwohl es bei Eleganz und Koordination sicher noch viel Luft nach oben gab, war dies doch ein energetisierender Start in den Tag!

Wir kamen wieder im Zirkuszelt zusammen und es wurden die Angebote des Tages präsentiert: Von Appreciative Inquiry (einem Ansatz aus der Organisationsentwicklung) bis zu Zertifizierungsvorträgen neuer Referent*innen gab es im Laufe der nächsten Tage eine Vielzahl von Vorträgen, Brainstorming-Sessions, Workshops und Gesprächsangeboten. Ich hatte selbst nichts vorbereitet und war nicht auf die Fülle an Informationen und Möglichkeiten vorbereitet gewesen: Häufig liefen mehr als fünf Veranstaltungen parallel – und alle klangen sie spannend! Über die Qual der Wahl hinweg half nur das Wissen, dass es keine falsche Entscheidung gab, und die Akzeptanz der Tatsache, nicht alles erleben zu können. In den Pausen zwischen den Angeboten und zu den Mahlzeiten gab es dann aber glücklicherweise Möglichkeiten, doch noch die Essenz einiger anderer Veranstaltungen aufzuschnappen. Ich war auch beeindruckt, wie gut sich das Programm des Tages scheinbar von selbst zusammenfügte. Hinter den Kulissen muss dafür einiges an Planung stattgefunden haben – sowohl durch das fleißige Organisationsteam, als auch von jedem und jeder einzelnen, die etwas vorbereitet oder sich überlegt hatten. Alles war im Fluss und fand seinen Platz zur richtigen Zeit. Viele Angebote entstanden auch durch die Interaktion, im Moment: Es wurde ein erhöhter Austauschbedarf zu einem Thema festgestellt oder die Idee für eine neue Initiative kam auf – kein Problem, ein neuer Zeitslot samt Treffpunkt wurde spontan vereinbart.

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Es war toll, wieder etwas mit so vielen Menschen gemeinsam zu erleben! Die ersten reisten bereits am zweiten Tag wieder ab, dafür kamen ständig neue Gesichter hinzu. Die Bemerkung, ich hätte an diesem Wochenende mehr Menschen getroffen als im letzten ganzen Jahr, hatte ich im Spaß geäußert, aber sie war bei genauerer Überlegung wahrscheinlich sogar korrekt.

Irgendwann kam auch die Vermutung auf, dass wir hier in einer Blase lebten – einer Blase, in der die großen Probleme unserer Zeit plötzlich lösbar schienen. Einer Blase, in der ganz selbstverständlich jede Interaktion auf Toleranz und Wertschätzung fußte, in der Kooperation gelebt wurde und eine starke Verbundenheit mit allen Menschen vor Ort spürbar war. Oder, überlege ich jetzt weiter, ist die eigentliche Blase nicht eher der Alltag, in den ich viel zu schnell wieder zurück fuhr? Dann wären die Erlebnisse auf der Sommerwoche die Realität, bzw. ein Vorgeschmack genau jener Realität, auf die wir durch unser Engagement hinwirken…!

(Gabriel Geck)

Fotos: Jo Grothe
Dank an Sandra Paul für die Visualisierung der SommerWoche