News   Blog   Termine Newsletter Presse   Vereine und Regionalgruppen International Website

Interview mit Christian Felber zum neuen Buch

CF-Buch.jpg© www.friedlundpartner.at | Deuticke

„This is not economy“Aufruf zur Revolution der Wirtschaftswissenschaften

Wen sprechen Sie mit diesem Buch an? Ökonom*innen, Politiker*innen, Unternehmer*innen und/oder uns alle?

Zum einen alle Menschen, die von der realitätsfremden „Denkweise“ der Mainstream-Ökonomen, besser gesagt, ihrem Glaubenssystem betroffen sind. Homo oeconomicus, Eigennutzenmaximierung, Konkurrenz-Imperativ und grenzenloses BIP-Wachstum stellen eine große Gefahr für die Menschheit dar. Alle Betroffenen sind gemeinsam in der Verantwortung, eine andere Wirtschaftswissenschaft zu organisieren, um das Fundament für eine alternative Wirtschaftspolitik und eine zukunftsfähige Wirtschaftspraxis zu legen. Neben Politiker*innen und Wirtschaftstreibenden spreche ich im speziellen Studierende von Wirtschaftsstudien aller Art an sowie benachbarter Disziplinen – von Politikwissenschaft bis Jus – welche die Einführungsvorlesungen besuchen und mit den katastrophalen Mainstream-Lehrbüchern arbeiten. Aber auch Lehrkräfte in Schulen, Hochschulen und Universitäten, die auf der Suche nach substanzvolleren Inhalten als die Neoklassik und konkreten Alternativen sind.

Sie listen in dem gleich 25 „Todsünden“ der neoklassischen Wirtschaftswissenschaft auf. Welche sind die drei allerschlimmsten?

Zum einen, dass sie sich als oder wie eine Naturwissenschaft versteht und Märkte wie Naturphänomene untersucht und deshalb auch von Marktgesetzen und -mechanismen spricht. Das ist nicht nur eine radikale Selbst- und Publikumstäuschung – die Wirtschafts- ist eine Sozialwissenschaft, zumal Märkte, Unternehmen, Geld und Eigentum menschengemachte kulturelle Erfindungen sind –; sondern diese Täuschung hat auch den Effekt, dass Ideen und Vorschläge zur Umgestaltung des Wirtschaftsordnung als „unwissenschaftlich“ und „politisch“ abgewehrt werden, so als wäre das aktuelle System keine politische Ordnung, die auf ganz bestimmten Werten beruht. Das ist schon die zweite Todsünde: Obwohl die Wirtschaftswissenschaft ein eigenes Wertesystem geschaffen hat – Eigennutzmaximierung, Konkurrenzorientierung, Verfolgung finanzieller Ziele, grenzenloses Wachstum – verbreitet sie die Illusion ihrer „Wertfreiheit“. Das ist ein übler Trick, um die eigenen Präferenzen unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit durchzusetzen. Eine dritte Todsünde ist die Fokussierung auf eine einzige Theorieschule, die Neoklassik, die in den Lehrbüchern nahezu unumschränkt herrscht. Die Kritik an dieser Theorieschule ist extrem breit und vernichtend. Doch sie prallt am Mainstream ab. Dieser wappnete sich dagegen mit dem „Wirtschaftsnobelpreis“, der einseitig die mathematische Neoklassik bevorzugt. Einen solchen Preis gibt es aber gar nicht, er wurde nie von Alfred Nobel gestiftet. Damit sind wir schon beim nächsten Sündenfall.

Wie ist der Titel „This is not economy“ zu verstehen?

Neben meiner interdisziplinären Ausrichtung bin ich Sprachwissenschaftler und frage nach der ursprünglichen Bedeutung von Schlüsselbegriffen. „Oikonomia“ bedeutete bei den alten Griechen das Gegenteil von dem, was heute als „Ökonomik“ und „Ökonomie“ gelehrt und verbreitet wird. Ziel war das gute Leben, das Wohl aller Haushaltsmitglieder – Geld und Kapital waren nur Mittel. Vor der Umkehrung dieser Relation warnte Aristoteles eindrücklich, er prägte dafür den Begriff „chrematistiké“ oder die Kunst des Gelderwerbens und Sich-Bereicherns. Heute nennen wir es „Kapitalismus“. Die Botschaft von Aristoteles: Ökonomie und Kapitalismus sind Gegenteile, und die ursprüngliche oikonomia war per definitionem eine Gemeinwohl-Ökonomie. Wissenschaftler*innen, die wirtschaftlichen Erfolg mit Finanzkennzahlen – Rendite, Profit, BIP – messen, sind demnach gar keine Ökonom*innen, sondern Chrematist*innen. Im Buch mache ich diesen Etikettenschwindel aufmerksam und weise den Weg zu einer echten „Ökonomik“, die diesen Namen verdient.

Gibt es Reformkräfte in der Wirtschaftswissenschaft, die offen sind für eine Veränderung?

Schon im Jahr 2000, also acht Jahre vor der Krise und 18 Jahre vor Greta Thunberg, begannen in Frankreich Proteste gegen die verirrte Wirtschaftswissenschaft. Die Bewegung, die sich „Postautistische Ökonomik“ nannte, breitete sich rasch aus, in Großbritannien entstand „Rethinking Economics“ und in Deutschland das „Netzwerk Plurale Ökonomik“. 2014 schlossen sich weltweit Gruppen zur International Students Initiative for Plural Economics (ISIPE) zusammen, die nun Tagungen organisieren und die Reform von Curricula und Lehrbüchern vorantreiben. Ihre wichtigsten Forderungen sind Vielfalt in Theorie und Methode, Interdisziplinarität, Weitung des Blicks auf die Kontexte des Wirtschaftens, Rückbau des Mathematik-Exzesses. In Deutschland sind die ersten Studiengänge Plurale Ökonomik entstanden. An diese Bewegung knüpfe ich an und verstärke sie.

Sie fordern seit vielen Jahren in Vorträgen und zahlreichen Publikationen eine gerechtere Wirtschaftswelt und bringen dafür viele Vorschläge. Nehmen Sie bereits einen Veränderungsprozess wahr?

Es finden laufend Veränderungsprozesse statt, in verschiedene und teils konträre Richtungen. Zum einen werden weitere Handelsabkommen geschlossen, Firmenfusionen schreiten voran, globale Monopole wachsen heran, und statt strengere Pflichten erhalten Konzerne weitere Rechte. Zugleich findet ein breites Umdenken statt, die Sharholder-Value-Mentalität wird breit in Frage gestellt, Nachhaltigkeitsziele rücken stärker ins Zentrum und gesellschaftliche Verantwortung. Ob daraus eine verpflichtende Gemeinwohl-Orientierung oder einklagbare Rechte für die Natur und kommende Generationen werden, ist noch offen. Unsere Strategie ist, möglichst viele Akteur*innen an der lokalen Basis einzubinden: Unternehmen, Gemeinden, Städte, Schulen und Universitäten. Daraus kann ein soziales Substrat entstehen, das ausreichend breit und fest für einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel ist. Entscheidend ist aus meiner Sicht, die inhaltlichen Alternativen mit demokratischen Beteiligungsprozessen zu kombinieren. Dann kann es eines Tages gelingen, die Macht in der Wirtschaft zu dekonzentrieren und die ökonomischen Spielregeln an neuen Werten auszurichten.

Links zu Webseiten

Autor   
Verlag
Buch